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Oma hat nicht immer Recht – 7 Mythen rund um das Sauber werden

Sauber werden Mythen

Wenn es länger dauert als angenommen, bis Kinder von selbst sauber werden, hagelt es allzu oft gutgemeinte Ratschläge. Meist kommen diese von der älteren Generation, nämlich denjenigen, die selbst mit strenger Sauberkeitserziehung groß werden mussten und die ihre eigenen Kinder genauso erzogen haben. Denn schließlich ist man ja selbst auch gut geraten … oder etwa nicht?

Ohne die Leistung der Mütter und Großmütter schmälern zu wollen, nicht alles, was damals gemacht wurde, weil es alle so machten, wird auch heute noch empfohlen. Mittlerweile ist die Wissenschaft in Bezug auf die kindliche Entwicklung viel weiter. Daher ist es gut, Mythen erkennen und beurteilen zu können. Im Folgenden findest du sieben Mythen rund um das Sauber werden, die sich immer noch hartnäckig halten, die aber meist nur teilweise oder gar nicht stimmen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Regelmäßiges auf den Topf setzen kann kontraproduktiv sein.
  • Bestrafungen und Belohnungen sollten nicht zum Einsatz kommen.
  • Wenn ein Kind noch nicht trocken / sauber ist, ist das keine Schande und erst recht keine Absicht.
  • Nächtliches Wecken oder weniger trinken sind keine Lösung!

Mythos #1: Regelmäßiges auf den Topf setzen lässt Kinder schneller sauber werden.

Dieser Mythos stimmt so nicht. Noch bis in die 50er/60er-Jahre des 20. Jahrhunderts und im Osten Deutschlands auch bis 1989 setzte man die Kinder bei jeder Gelegenheit auf den Topf. Selbst wenn die meisten Ausscheidungen dann aufgefangen wurden und eine gewisse Regelmäßigkeit Einzug hielt, hatte das Ergebnis nichts mit vollständiger Blasenkontrolle zu tun. Eine Schweizer Langzeitstudie (Zürcher Longitudinalstudie und Generationenstudie) des Pädiaters Remo Largo kommt zu dem Schluss, dass auch die Kinder, die auf diese Art mit großem Einsatz der Mütter trockengelegt wurden, im Schnitt genauso lange brauchten wie die anderen, bei denen nichts unternommen wurde. Außerdem kann das häufige Topfen dazu führen, dass Kinder erst spät lernen, wie sich eine wirklich gefüllte Blase anfühlt. Dies ist jedoch eine wichtige Erfahrung, ebenso wie einschätzen zu lernen, wie viel Zeit noch bleibt, bevor die volle Blase überläuft.

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Mythos #2: Das Kind lernt schneller, auf das Töpfchen zu gehen, wenn es dafür gelobt oder belohnt wird.

Es ist wunderbar, sich mit dem Kind zu freuen, wenn es Erfolge erzielt hat. Jedoch wohnt jedem Kind ein ganz natürlicher Drang inne, sich weiterzuentwickeln. Es schöpft seine Motivation also aus sich selbst. Wenn jedes Mal mit Belohnungen oder überschwänglichem Lob reagiert wird, wenn das Kind macht, was es kann, mag es dazu kommen, dass es so lernt, Erfolge für andere zu erringen und nicht für sich selbst. Die natürliche Motivation geht verloren. Das kann auf kurze Sicht funktionieren, aber langfristig wird es das Kind in seiner Entwicklung behindern. In Bezug auf die Sauberkeit mögen Belohnungen tatsächlich einen Anreiz setzen, das Töpfchen oder die Toilette aufzusuchen, allerdings beschleunigt dies die Erlangung der Blasen- oder Darmkontrolle keinesfalls. Das Kind spürt also seine Blase nicht besser, nur weil ein Stückchen Schokolade wartet.

Mythos #3: Das Kind lernt schneller, nicht in die Hose zu machen, wenn es dafür bestraft wird.

Früher war es an der Tagesordnung, Kinder zu züchtigen, wenn etwas daneben gegangen war. Heute ist man schlauer. Denn Strafe führt auf keinen Fall zu früherer Sauberkeit. Diese Form der Erziehung gehört zur dunklen Pädagogik und führt eher dazu, dass Kinder aus Angst vor den Eltern verkrampfen und in ihrer Entwicklung gehemmt werden. Überdurchschnittlich viele spätere Bettnässer haben eine konsequente frühe Sauberkeitserziehung hinter sich und/oder leben in einem eher strengen Elternhaus mit hohen Erwartungen an die Kinder.

Mythos #4: Kinder, die nach 3 Jahren immer noch einnässen oder einkoten, wollen gegen ihre Eltern rebellieren.

Diese Pauschalaussage ist in den allermeisten Fällen nicht nur falsch, sondern schadet auch den Kindern. Erstaunlicherweise sind ein Drittel der Eltern von einnässenden Kindern jenseits der 3 der Meinung, dass ihr Kind dies absichtlich täte, um sie zu ärgern. Diese Einstellung führt keineswegs zu einer Verbesserung der Situation, sondern verbreitert die Kluft zwischen Eltern und Kind unnötig und belastet die kindliche Psyche umso mehr. Ab einem Alter von 5 Jahren sprechen Mediziner überhaupt erst von Ein- beziehungsweise Bettnässen, ab 4 von Einkoten. Vorher nimmt man an, dass das Kind einfach noch nicht so weit ist. Aber selbst jenseits dieser Linie sind meist andere Faktoren, wie eine angeborene Reifungsverzögerung oder psychische Probleme Schuld. Eltern tun also gut daran, ihrem Kind nicht die Schuld für sein Verhalten zu geben und es vor allem nicht auf sich selbst zu beziehen.

Dinge, die wirklich zu späterem Sauber werden führen können:

  • Eine verzögerte Reifung der beteiligten Organe und Nervenbahnen
  • Ein zu geringes Selbstbewusstsein
  • Belastungen im kindlichen Alltag
  • Zu viel Druck von außen
  • In einigen Fällen auch fehlende Unterstützung durch die Eltern – also Topf anbieten (nicht aufdrängen!), wenn das Kind sauber werden möchte

Mythos #5: Wenn das Kind nachts ins Bett macht, darf es abends nichts zu trinken bekommen.

Diese Maßnahme grenzt an Quälerei und führt ganz sicher nicht zur Entspannung der Lage. Stell dir einmal vor, du hast großen Durst, darfst aber nichts trinken und sollst dann dennoch friedlich schlafen. Schrecklich, oder? Sicherlich sollte ein Kind am Tage nicht das Trinken vergessen, um dann abends und nachts alles nachzuholen. Aber in solchen Fällen muss vorher angesetzt werden.

Damit ein Kind auch nachts sauber bleibt, ist es wichtiger, dass es lernt, von selbst zu erwachen und die Toilette aufzusuchen, wenn es muss.

Wenn dein Kind tagsüber zu wenig trinkt:

  • Mehrere Trinkflaschenmodelle im Wechsel anbieten
  • Verschiedene Trinkgefäße anbieten
  • Verschiedene Strohhalme ausprobieren
  • Verschiedene Getränke anbieten
  • Zu jeder großen Mahlzeit auch ein Getränk reichen
  • Übrigens: Kindern, die abends immer wieder etwas trinken wollen, um nicht schlafen zu müssen, nimmt man mit einer Flasche am Bett den Wind aus den Segeln.

Mythos #6: Nächtliches Einnässen verhindert man durch regelmäßiges Wecken.

Nächtliches Einnässen liegt meist daran, dass die Reifung in diesem Punkt verzögert stattfindet oder das der vorherige Tag psychisch belastend war. Nur einige wenige Kinder wachen tatsächlich nicht auf, selbst wenn die Blase Alarm schlägt. Für diese Kinder gibt es Methoden, die durch nächtliches Wecken das rechtzeitige Aufwachen trainieren. Diese haben aber eher weniger damit zu tun, das Kind aus dem Tiefschlaf zu holen, obwohl es gar nicht muss, sondern basieren auf Wecksystemen, die an eine bereits beginnende Urinabgabe gekoppelt sind (Klingelhose, Klingelmatratze). Sicherlich würde regelmäßiges Wecken auch dazu führen, dass die Blase im späteren Verlauf der Nacht nicht überläuft. Zum Lerneffekt trägt diese Methode aber nichts bei und beraubt die Kinder des wichtigen Nachtschlafs. Außerdem führt es dazu, dass die Kinder lernen, zu einem bestimmten Zeitpunkt zu urinieren. Wenn sie dann nicht geweckt werden, geht alles genau um diese Zeit ins Bett.

Mythos #7: Jungen tun sich generell schwerer als Mädchen.

Das ist nur teilweise richtig. Normal entwickelte Jungen werden im Schnitt nur minimal langsamer trocken als die Mädchen. Dennoch gibt es mehr Jungen als Mädchen, die Probleme beim Sauber werden haben. Es handelt sich allerdings um eine bestimmte Gruppe, die bestimmte Reifungsverzögerungen aufweisen. Zum Beispiel neigen Kinder, bei denen später ADHS diagnostiziert wird, dazu, später trocken zu werden. ADHS wird bei vier- bis sechsmal mehr Jungen als Mädchen diagnostiziert. Betrachtet man daher ohne Unterschied alle Kinder, verschiebt sich das Verhältnis zugunsten der Mädchen.
Aber Achtung, nicht alle Kinder, die eine Reifungsverzögerung aufweisen, haben Probleme mit dem Trockenwerden. Und ebenso haben nicht alle Kinder, die noch nicht trocken sind, zwangsläufig ADHS oder eine andere Reifungsverzögerung!

Fazit

Ums Sauber werden ranken sich etliche Mythen. Nicht selten müssen sich Eltern gegen die Vorstellungen älterer Generationen wehren. Aber deren Ratschläge sind meist mit Vorsicht zu genießen und bringen nicht nur nicht viel, sondern können mitunter sogar schaden. Lass dich nicht verunsichern. Der beste Ratgeber ist zusammen mit etwas Grundwissen immer noch der eigene Bauch!

Hast du noch weitere Fragen zum Thema Sauberwerden und die richtigen Strategien? Dann schreib uns einen Kommentar!

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Quellen

Veröffentlicht von Anke Modeß

Als waschechte Berlinerin und späte Mutter eines Schulkindes schreibt Anke seit 7 Jahren über Themen, die Babyeltern im Alltag beschäftigen - am allerliebsten mit einer Prise Humor.

2 Kommentare anderer Nutzer

  1. Ich bin ein Kind der 60ger und wurde so erzogen:

    Hatte ich die Windel voll musste ich aufs Töpfchen, und wehe da war nicht drin… Meine Mutter hat mich runter genommen, umgedreht und mit dem Schlappen anständig den nackten Hintern versohlt!
    Solange bis ich nicht mehr in die Windel gemacht habe….
    Habe noch mit 8 oder 9 Jahren den Hintern voll gekriegt!

  2. Hallo Rüdiger,

    das ist schlimm und tut mir sehr leid! Da viele Menschen deiner Generation so aufwuchsen, finden wir es umso wichtiger, die Dinge klarzustellen. Wie schön, dass du dich zu dem Thema beliest!#

    Alles Gute

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